Das Jagdschloss Granitz auf der Ostseeinsel Rügen ist der meistbesuchte Schloss in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Besuch.
Der Schrei eines Kleinkinds hallt von oben zu uns herunter. Um Himmels Willen, nur nicht nach unten sehen! Stufe um Stufe steigen wir den Mittelturm weiter nach oben. Unter 154 Treppenstufen lauert der Abgrund. Damit man ihn auch gut erkennen kann, sind die filigranen Stufen mit gusseisernen Blumenmustern und Ornamenten gestaltet, durch die man hindurch in die Tiefe blicken kann. Das aber sollte man unbedingt bleiben lassen. Sonst ergeht es einem wie dem Kleinkind über uns, das jetzt noch lauter schreit und jammert. Sicher war es nicht seine Idee, diese filigran wirkende Treppe nach oben zu steigen, um die schöne Aussicht zu bewundern. Wer erzieht eigentlich solche Eltern?
Jagdschloss Granitz in Mecklenburg-Vorpommern
Die Treppe ist freischwebend an der Innenwand des Schlossturms montiert. Warum das? Zum einen wurde der Mittelturm nachträglich eingeplant, zum anderen sollte die Treppe demonstrieren, zu welchen Meisterleistungen die preussischen Eisenkunstgießer fähig sind. Die Wendeltreppe wurde um 1845 in Berlin von der Eisengießerei von Franz Anton Egells gefertigt und windet sich 38 Meter hoch nach oben.
Das ist der älteren Dame, an der wir vorbeikommen, zu viel des Guten. Sie ist stehen geblieben und möchte umkehren. Doch auch das ist schwierig. Die Treppe ist so eng, dass immer nur eine Gruppe entweder hinauf- oder hinuntersteigen kann. Beides gleichzeitig geht nicht. Deshalb stehen oben und unten Uniformierte, die sich mit Funkgeräten absprechen und die Gruppen losschicken.
Nicht schwindelfrei? Dann solltest Du Dir das mit der freischwebenden Treppe vielleicht noch mal überlegen.
Sollte man vom Blick in den Abgrund etwas schwindelig werden und zur falschen Seite taumeln, könnte es schnell aus und vorbei sein. Das Geländer rechts ist höchstens ein Halt für Gartenzwerge. Am besten, man konzentriert seinen Blick auf den Vordermann und tastet sich am Geländern weiter voran. Stufe um Stufe geht es nach oben in luftige Höhen. Das unsichere Gefühl, das die Treppe vermittelt, kommt zum einen davon, dass sie so zierlich und zerbrechlich wirkt und zum anderen davon, dass sie in der Luft schwebt und nur an der Innenmauer befestigt ist. Jahr für Jahr muss die Treppe über 130.000 Besucher tragen (Wikipedia sagt sogar: 250.000 Besucher) – da wird sie doch nicht ausgerechnet bei uns schlapp machen. Also: weiter!
Jagdschloss Granitz: der Mittelturm
Schließlich ist die filigrane Wendeltreppe zu Ende. Wir treten durch eine kleine Holztüre nach draußen auf den Schlossturm. Ein eisiger Wind weht mir um die Nase. Der Prospekt über das Jagdschloss Granitz nennt den Aufstieg eine „wahre Mutprobe“ und verspricht: „Der Nervenkitzel wird mit einem einzigartigen Panoramablick über Rügen belohnt“. Ja, nicht übel. Jagdschloss Granitz wurde auf dem Tempelberg errichtet und liegt somit 145 Meter über dem Meeresspiegel. Wir überblicken dichte grüne Wälder, Felder, Seen, die Ostsee und Siedlungen. Ach – und da ist ja auch das Kleinkind. Etwas heiser, aber ansonsten zum Glück völlig unversehrt.
Die Aussicht ist großartig. Aber ist sie den Stress mit der Treppe wirklich wert?
Damit man weiß, was man da eigentlich von oben betrachtet, sind am Geländer Schilder montiert. „Kap Arkona 35 km“, heißt es da zum Beispiel. Oder „Ostseebad Binz 3 km“, „Prora 7 km“. Die Fernsicht reicht von Putbus, Stralsund und Greifswald bis an die polnische Ostküste. Die Idee für diesen Aussichtsturm stammt vom preußischen Kronprinzen und späteren König Friedrich Wilhelm IV, der im Sommer oft zu Gast bei Fürst Wilhelm Malte I. war. Ab 1837 hatte die Fürstenfamilie zu Putbus Jagdschloss Granitz erreichten lassen. Die Inspiration dafür lieferte ihnen die deutsche Romantik. Für die Baupläne verpflichteten sie den Berliner Baumeister Johann Gottfried Steinmeyer. Doch nachdem Friedrich Wilhelm IV die Idee mit dem Schlossturm beigesteuert hatte, wurde das Ganze Chefsache und der oberste Baubeamte Preußens, Karl Friedrich Schinkel, „optimierte“ die Baupläne noch einmal.
1851 war das Anwesen fertig. 14 Jahre Bauzeit? Ja, denn Fürst Wilhelm Malte I. war sparsam und gab im Jahr „nur“ 6.000 Taler für den Bau aus. Gepflasterte Straßen erleichterten die Anfahrt zu Jagdschloss Granitz, zu dem auch ein Forst- und Gasthaus und ein Pferdestall gehörten. Um das Wild in den Wäldern zu halten, wurde der Granizer Wald eingezäunt. Neben dem Aussichtsturm ist in Jagdschloss Granitz auch die Ausstellung sehenswert, in der die Geschichte der Schlosses erzählt wird.
Jagdschloss Granitz: die Jagdgesellschaften
Jagdschloss Granitz liegt inmitten des 1.000 Hektar großen Waldgebiets. Bei der Fürstenfamilie auf Rügen trafen sich Kaiser, Könige, Fürsten und andere Adelige, um in den Wäldern der Granitz auf die Jagd zu gehen. Vor allem die preußische Königsfamilie reiste gerne aus Berlin an. Bei Wildbraten, Wein und Eisbombe ließ sich vortrefflich über Kunst, Politik und Reisen diskutiert. Hochzeit dieser Jagdgesellschaften war unter Fürst Wilhelm zu Putbus (1833 bis 1907), der zum Beispiel im Herbst zur Hubertusjagd lud. Mächtige Geweihe an den Wänden des Schlosses verweisen stolz auf die einstige Pracht. Was bei Sportvereinen Pokale sind, waren damals Geweihe.
Tiefreunden könnte das Herz bluten. Überall hängen Geweihe an der Wand.
Der gemeinsame Jagderfolg verschaffte der Gesellschaft der Adeligen ein Gemeinschaftserlebnis und man kam bei der Pirsch ungezwungen miteinander ins Gespräch. Networking um 1900 eben. Da es damals noch keine Smartphones gab und man nicht mal eben per Whatsapp durchgeben konnte, dass die Jagd beendet sei, verständigten sich die Jäger über Jagdhörner.
In der Ausstellung etwa kann man ein „Fürst-Pless-Horn“ bewundern, das seit den 1870er-Jahren gern verwendet wurde. Es ist handlich, kreisrund, zweiwindig und robust. Wer möchte, kann an der Ausstellungsvitrine auf einen Knopf drücken und sich verschiedene Signale anhören. Zum Beispiel: Sammeln der Jäger, Begrüßung, Aufbruch zur Jagd, Zum Essen, Hirsch tot, Sau tot, Reh tot oder Jagd vorbei. Im Folgenden eine Aufnahme von „Sammeln der Jäger“ und „Aufbruch zur Jagd“.
In der Zeitung stand dann zum Beispiel Folgendes:
Jagdschloss Granitz: die Ausstellung
Ebenfalls sehenswert in der Ausstellung, besonders für Reisefreunde: das Reisetagebuch der Fürstin Wanda Marie zu Putbus, das sie von 1861 bis 1862 auf ihrer Reise durch Ägypten führte. Es wird multimedial erzählt. Man hört eine Sprecherin und sieht animierte Bilder, zwischen denen man hin- und herblättern kann. Toll gemacht!
Von der umfangreichen Bibliothek und der Kunstsammlung der Fürstenfamilie ist leider nur noch wenig zu sehen. Diese wertvollen Dinge wurden nach dem Zweiten Weltkrieg „mit zumeist unbekanntem Ziel abtransportiert“, wie es diplomatisch in der Ausstellung heißt. Trotzdem ist die Ausstellung überaus interessant und anschaulich.
Also, viel Spaß im Jagdschloss Granitz und: Nicht nach unten sehen!
Jagdschloss Granitz: Anfahrt
- Der Jagdschlossexpress fährt von der Binzer Seebrücke zum Schloss. Auf der Fahrt gibt es Informationen über das Ostseebad Binz und das Schloss. Die Tickets werden verkauft, wenn man im Zug Platz genommen hat. Aktuelle Fahrpläne gibt es auf der Website des Betreibers.
- Das Jagdschloss Granitz kann man auch wunderbar zu Fuß oder mit dem Rad erreichen.
- Weitere Möglichkeit: Mit dem Rasenden Roland Schmalspurzug von Binz oder Sellin zur Station „Jagdschloss“ und dann über den Wanderweg zum Jagdschloss Granitz.
Jagdschloss Granitz: Tickets
Erwachsene: 6 Euro.
Ermäßigt und Gruppen ab zehn Personen: 4 Euro.
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre: Eintritt frei.
Öffnungszeiten Schlossmuseums
April/Oktober: täglich von 10 bis 17 Uhr. Mai bis September: täglich von 10 bis 18 Uhr. November bis März: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 16 Uhr.
Restaurant
Nach der Ausstellung kann man sich im Wirtshaus „Alte Brennerei“ im Kellergewölbe des Jagdschlosses Granitz oder im Waldbiergarten stärken. Hier gibt es zum Beispiel Wild-Bratwurst oder Hirsch-Burger mit Ziegenkäse.
Gut zu wissen
- Das Jagdschloss Granitz liegt in einem Waldgebiet und ist nicht rollstuhlgerecht.
- Es gibt kein Ticket nur für den Turm. Man muss das Ticket kaufen, das für Ausstellung und Schlossturm gilt.
- Eine Toilette befindet sich im Kellergewölbe. Richtung „Alte Brennerei“ und dann gleich nach rechts abbiegen. Die Toilette kostet 50 Cent.
Weitere Infos zum Jagdschloss Granitz
Gibt es hier.